Rede von Frau Dr. Schwall-Düren anl. der Vorstellung des 4. Jahresgutachtens des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) im "Malkasten" Düsseldorf

28. Juni 2013
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Sehr geehrter Herr Frohn
sehr geehrte Frau Prof. Dr. Langenfeld,
sehr geehrter Herr Prof. Dr. Faßmann,
sehr geehrter Herr Dr. Kolb,
sehr geehrte Damen und Herren,

Ich freue mich sehr, an der Vorstellung des 4. Jahresgutachtens teilzunehmen und im Anschluss noch mit Ihnen darüber diskutieren zu dürfen.

Sehr geehrter Herr Frohn

sehr geehrte Frau Prof. Dr. Langenfeld,

sehr geehrter Herr Prof. Dr. Faßmann,

sehr geehrter Herr Dr. Kolb,

sehr geehrte Damen und Herren,

Ich freue mich sehr, an der Vorstellung des 4. Jahresgutachtens teilzunehmen und im Anschluss noch mit Ihnen darüber diskutieren zu dürfen.

Allerdings wäre es natürlich vermessen, auch nur den Versuch zu unternehmen, zu einem Gutachten von 210 Seiten in den wenigen Minuten, die mir zur Verfügung stehen, umfassend Stellung nehmen zu wollen.

Erlauben Sie mir daher, mich darauf zu beschränken, einige in meinen Augen wichtige Punkte hervorzuheben.

1.) Der offensichtlichste zuerst: die Freizügigkeit der Unionsbürger, der in der EU in weiten Bereichen fast der Rang eines Grundrechts zukommt, ist heute einer der Grundpfeiler des europäischen Selbstverständnisses. Die unzähligen positiven Effekte dieser europaweiten Mobilität -  sei es im Hinblick auf die Wirtschaft, die Stabilisierung der Währungsunion oder die Völkerverständigung - sind Gegenstand zahlloser wissenschaftlicher und anderer Publikationen.

Auch das 4. Jahresgutachten weist zutreffend darauf hin, wie sehr gerade Deutschland von der Freizügigkeit profitiert. Mehr noch: das „Migrationsbarometer“ verdeutlicht, dass auch die Menschen in Deutschland weit überwiegend [79% der Befragten ohne Migrationshintergrund, 81,1 % der Befragten mit Migrationshintergrund] der Meinung sind, dass der europäische Wanderungsraum für Deutschland einen Gewinn darstellt.

Deutlich wird auch, dass eigene Migrationserfahrungen der Befragten zu einer noch klareren, und – wie ich meine – realistischen! - Erkenntnis der positiven Effekte europäischer Binnenmigration führen. Darüber hinaus kommt das Gutachten zu dem Schluss: „Persönliche Erfahrung innereuropäischer Mobilität stärkt das Vertrauen in die EU!“ All dies sind gerade in einem wirtschaftlich, geographisch und gesellschaftlich stark nach außen orientierten Land wie Nordrhein-Westfalen erwünschte, ja sogar notwendige Effekte, und ich danke den Autoren des Gutachtens für diese klaren Worte!

2.) Des Weiteren attestiert das Gutachten Deutschland seit Jahren erstmals wieder einen positiven Wanderungssaldo. Es konstatiert gleichzeitig, dass das Gros der Einwanderer jung und gut ausgebildet ist, und somit eine Bereicherung für Deutschland ist. Die Furcht vor unkontrollierten Zuwanderungsströmen und insbesondere vor einer „Einwanderung in die Sozialsysteme“, die vor den letzten beiden EU-Erweiterungen zu teilweise schrillen Debatten in Politik und Öffentlichkeit geführt hatte, hat sich somit als weitgehend gegenstandslos erwiesen.

An diesen Erfahrungen gemessen sind wohl auch durch die Herstellung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bürger von Rumänien und Bulgarien am 31.12.2013 keine größeren sozialen Verwerfungen zu erwarten.

Sehr geehrte Damen und Herren,

3.) Damit soll allerdings nicht gesagt sein, dass Migration für eine Gesellschaft folgenlos bleibt, oder dass damit keine Herausforderungen verbunden sind. Im Zuge einer jahrzehntelang erbittert verteidigten Fiktion mit dem Titel „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ sind in unserem Land Fehler und Versäumnisse begangen worden, an denen wir teilweise heute noch schwer zu tragen haben. Und das darf sich nicht wiederholen!

Migration kann, wie wir wissen, die Entstehung von Parallelgesellschaften fördern, wenn Menschen in der neuen Heimat nicht wirklich „ankommen“ - zum Beispiel, weil sie sich nicht willkommen fühlen, oder weil sie nicht die Hilfestellung erhalten, die sie benötigen. Will eine Gesellschaft aber die durch Migration geschaffenen Vorteile genießen, so muss sie sich auch den Herausforderungen stellen, und hier sehe ich insbesondere auch auf Seiten der Aufnahmeländer eine Bringschuld – ohne zu vernachlässigen, dass wir auch von unseren neuen Mitbürgern Anstrengungen erwarten dürfen.

a.) Diese besteht zum einen darin, geltendes europäisches Recht einzuhalten – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dennoch treffen Migranten und Migrantinnen immer wieder auf Schwierigkeiten, die es von Rechts wegen gar nicht geben dürfte! Hindernisse reichen von der Verweigerung der Anerkennung der Europäischen Gesundheitskarte durch deutsche Ärzte oder Krankenhäuser über die Verzögerung der Anerkennung von Diplomen bis hin zu sittenwidrigen Dumpinglöhnen und illegaler Schwarzarbeit. Hier ist die öffentliche Verwaltung ebenso gefragt wie Arbeitgeber, berufsständische Vereinigungen, Gewerkschaften etc.

Insbesondere die Durchsetzung des Grundsatzes „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ ist in unser aller Interesse!

Zum anderen sollten wir mittlerweile aber auch gelernt haben, dass das Wort „Arbeitskräfte“ vielleicht eine wirtschaftliche Größe bezeichnet, dass Integration aber nur gelingen kann, wenn Menschen auf Menschen zugehen. Wir müssen das unsere dafür tun, dass Menschen sich hier bei uns heimisch fühlen, und sich für sich und ihre Familien eine Zukunft in unserem Land vorstellen können, und dazu gehören nun einmal staatliche Integrations­angebote wie Qualifizierungsmaßnahmen, Sprachkurse, Förderangebote in Schulen und vieles mehr.

b.) Allerdings dürfen die EU und ihre Mitgliedstaaten es meiner Meinung nach nicht zulassen, dass Menschen sich zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen sehen, weil sie dort keine wirtschaftliche Perspektive haben.

Wir erleben derzeit, dass Menschen vor allem aus den am schwersten von der Krise getroffenen Staaten Südeuropas in verstärktem Maße auf der Suche nach Arbeit zu uns nach Deutschland kommen. Ich habe vorhin bereits ausgeführt, dass unser Land von diesen jungen, überwiegend gut ausgebildeten Einwanderern profitiert und schon von daher allen Grund hat, sie herzlich willkommen zu heißen.

Wenn die Migration allerdings für diese Menschen „alternativlos“ ist, weil sie aufgrund der von den Staats- und Regierungschefs der EU – allen voran Deutschland – verschriebenen extremen Austeritätspolitik im eigenen Land keine wirtschaftliche Zukunft für sich sehen, so ist das ein Alarmzeichen für Europa , das zu politischen Konsequenzen führen muss.

Die Menschen in den Krisenländern können den Gürtel nicht noch enger schnallen, die Zustände sind mittlerweile unhaltbar geworden, und die Befürchtungen keynesianischer Wirtschaftswissenschaftler sind umfassend eingetroffen: Austerität in der Krise führt zu Rezession, Ansteigen der Verschuldung und weit­reichen­der Verelendung. Was die Krisenländer jetzt brauchen, sind Investitionen in nachhaltige Wirtschaftszweige, sie brauchen unsere Solidarität nicht nur mit ihren (und unseren) Banken, sondern auch mit den arbeitslosen Jugendlichen und den Rentnern, die am Existenzminimum leben!

c.) Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten dürfen auch nicht zulassen, dass Minderheiten wie Roma in ihren Heimatländern kollektiv diskriminiert und aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden, sei es im Hinblick auf Bildung, Gesundheitsdienstleistungen, Wohnung oder politische Teilhabe. Auch mit diesem Thema setzt sich das Jahresgutachten dankenswerter fundiert auseinander.

Das Jahrzehnt von 2005 bis 2015 ist von einer Reihe NGOs und internationaler Organisationen, darunter Europarat und Europäische Kommission, zur „Decade of Roma Inclusion“ ausgerufen worden. Und mittlerweile sind die Roma tatsächlich auf die Tagesordnung europäischer Institutionen – und übrigens auch europäischer Gerichte wie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte! – gelangt.

Aber eine wirkliche Lösung für die in vielen Ländern desaströse soziale, wirtschaftliche und politische Lage der Roma ist bisher nicht gefunden worden. Immer noch werden Roma in Nacht-und Nebel-Aktionen von städtischem Land vertrieben, auf dem sie seit Jahrzehnten siedeln oder Roma-Kinder werden routinemäßig in Sonderschulen untergebracht.

Ich bin der Auffassung, dass die Zukunftsfähigkeit unseres europäischen Gesellschaftsmodells sich gerade auch daran messen lässt, wie wir mit den schwächsten und am stärksten diskriminierten Gruppen auf unserem Kontinent umgehen, und die Roma gehören zweifellos dazu.

Für die Mitgliedstaaten mit großen, schlecht integrierten Roma-Minderheiten erfordert dies, ernsthafte Anstrengungen zu unternehmen, um die Roma im eigenen Land zu integrieren. Hierfür stehen Mittel aus den Strukturfonds zur Verfügung, die in vielen Fällen einfach nicht abgerufen werden.

Für alle Mitgliedstaaten bedeutet das, dass wir einerseits auf dem Weg über die europäischen Institutionen, aber auch im Kreis der Mitgliedstaaten gemeinsam daran arbeiten müssen, dass die Integration von Europas größter nichtterritorialer Minderheit in das europäische Projekt gelingt.

Es bedeutet aber auch, dass wir selbst als Gesellschaft die Herausforderung annehmen müssen, die möglicherweise in den kommenden Jahren mit der Einwanderung von Roma verbunden ist. Insbesondere müssen wir unsere Kommunen in die Lage versetzen, mit den durch die Zuwanderung sozial schwacher Bevölkerungsgruppen entstehenden Herausforderungen – die ich nicht kleinreden will – umzugehen. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen ist insoweit im intensiven Gespräch sowohl mit den Europäischen Institutionen und der Bundesregierung, als auch mit den betroffenen Kommunen selbst, um gemeinsam tragfähige Lösungen für die komplexen Problemlagen zu finden, mit denen die Kommunen konfrontiert sind.

Ich freue mich daher sehr, dass beispielsweise die Freudenberg-Stiftung mit dem Projekt „Roma-Mediation in Schulen“ in Berlin Wege aufzeigt, wie es gelingen kann, mit Roma-Familien zu sprechen statt nur über sie, und Probleme gemeinsam konstruktiv anzugehen und zu lösen. Gerade die Kombination mit ROMED, dem Roma-Mediatoren-Projekt des Europarats, scheint mir hier wirklich vielversprechend, und ich wünsche mir, dass solche Mediations-Modelle, die es ja auch in Köln bereits gibt, in Nordrhein-Westfalen weiter Schule machen!

(Anrede,)

4.) Die Freizügigkeit – und damit komme ich wieder zum Anfang meiner Rede zurück -  ist einer der Grundbausteine des „europäischen Versprechens“, und dieses Versprechen gilt für alle Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union. Das hat aber Konsequenzen: „Die Menschen wählen mit den Füßen!“, fasst es eine englische Redensart prägnant zusammen.

Somit wirft Migration gleichzeitig immer auch ein Licht darauf, wo politischer Handlungsbedarf besteht. Für mich ist der politische Auftrag klar: die Probleme, vor denen Europa derzeit steht, lassen sich nur durch mehr Solidarität mit den Menschen, lassen sich nur gemeinsam bewältigen. Dabei ist Solidarität nicht gleichzusetzen mit Wohltätigkeit. Wohltätigkeit kann man ja vielleicht auch mal von der eigenen Kassenlage abhängig machen. Solidarität knüpft aber demgegenüber an dem Bewusstsein an, dass es ein gemeinsames Ziel gibt, dessen Verwirklichung nicht nur dem Empfänger solidarischer Maßnahmen nutzt, sondern der Gemeinschaft als Ganzer, und somit in letzter Konsequenz auch dem Gebenden. Solidarische Maßnahmen sind somit für die Nachhaltigkeit von Politik in Europa eine unabdingbare Voraussetzung, und daher unter der Rubrik „Zukunftsinvestition“ zu verbuchen!

Für das Thema Migration in Europa ergibt sich daraus der Schluss: Wir müssen jetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Menschen künftig in Europa wandern können, weil sie es wollen, und nicht weil sie es müssen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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