Neue Landesbauordnung verbessert Barrierefreiheit, erhöht Verbraucherschutz und stärkt Kommunen

3. Juni 2016

In Nordrhein-Westfalen sollen die Barrierefreiheit in den Gebäuden deutlich verbessert, baurechtliche Hürden beseitigt, der Verbraucherschutz gestärkt und die Entscheidungsfreiheit der Kommunen ausgebaut werden.

Verkehr

In Nordrhein-Westfalen sollen die Barrierefreiheit in den Gebäuden deutlich verbessert, baurechtliche Hürden beseitigt, der Verbraucherschutz gestärkt und die Entscheidungsfreiheit der Kommunen ausgebaut werden. Dies sind nur einige Änderungen, die die neue Landesbauordnung vorsieht. Das Kabinett hatte den entsprechenden Gesetzesentwurf Anfang der Woche gebilligt. Schon in der kommenden Woche wird sich der Landtag in erster Lesung mit dem Entwurf befassen.
 
„Das Warten auf die überarbeitete Landesbauordnung hat sich gelohnt“, erklärte Bauminister Michael Groschek. „Wenn der Landtag das Gesetz verabschiedet, werden Senioren und Menschen mit Behinderungen mehr barrierefreie Wohnungen finden. Die Kommunen können bei der strittigen Frage, wie viele Autostell- und Fahrradabstellplätze vor Wohnhäusern und Büros nötig sind, selbst entscheiden. Kurz: Wir haben in der neuen Landesbauordnung viele Anregungen und Verbesserungsvorschläge von Experten aus Verbänden, der Bauwirtschaft und auch von Bürgerinnen und Bürgern umgesetzt.“
 
Die wichtigsten geplanten Änderungen im Überblick:
 
Inklusion/Barrierefreiheit:

  • Zukünftig sollen mehr Wohnungen gebaut werden, die insgesamt barrierefrei sind. Ein Teil von ihnen soll auch mit dem Rollstuhl nutzbar sein, ohne dass dafür die Hilfe Dritter nötig ist. Die Zahl der barrierefreien Wohnungen soll vor allem dadurch gesteigert werden, dass in Gebäuden mit Aufzug künftig alle Wohnungen barrierefrei, aber nicht rollstuhlgerecht sein müssen.
  • Zukünftig müssen alle öffentlich zugänglichen baulichen Anlagen (dazu zählen z.B. Arztpraxen, Läden, Schulen, Universitäten, Freizeiteinrichtungen und Verwaltungsgebäude) barrierefrei sein. Bislang müssen beispielsweise Schulen nur in den für Besucher zugänglichen Teilen barrierefrei sein. 
Erleichterungen für Bürgerinnen und Bürger:
  •  Der nachträgliche Einbau von Treppenliften in Mehrfamilienhäusern wird ermöglicht. Damit wird dem Wunsch vieler älterer Bürgerinnen und Bürger entsprochen, die auf diese Weise möglichst lange in der eigenen Wohnung leben können.
  • Baurechtliche Hürden beim Bau von Terrassenüberdachungen werden beseitigt.
  • Wohnhäuser, die vor dem Jahr 1960 ohne Baugenehmigung errichtet worden sind, können von den Bauaufsichtsbehörden in Einzelfällen unter bestimmten Voraussetzungen geduldet werden. Damit soll Unsicherheiten mit der Behandlung von „Altfällen“ (Schwarzbauten) mithilfe der Stichtagsregelung begegnet werden.
  • Der Begriff des Staffelgeschosses wird vereinfacht. Damit entfallen die zahlreichen bisher zu diesem Thema geführten Auseinandersetzungen zwischen Bauwilligen und Bauaufsichtsbehörden.
 Selbstbestimmung von Kommunen:
  • Die Entscheidung über den Stellplatzbedarf für Autos sollen künftig die Stadträte und nicht mehr die Bauaufsichtsbehörden treffen. Dadurch können die Kommunen beispielsweise die örtliche Verkehrsplanung und die ÖPNV-Infrastruktur in ihre Überlegungen einbeziehen. Das Gleiche gilt auch für Fahrradabstellplätze.
Verbraucherschutz:
  • Das 1995 eingeführte „Freistellungsverfahren“, mit dem kleine und mittlere Wohngebäude ohne Prüfung der Planung und Bauüberwachung der Bauaufsichtsbehörden realisiert werden können, wird aus Verbraucherschutzgründen wieder abgeschafft. Das Verfahren hat sich nicht bewährt, weil es in nicht wenigen Fällen zu Planungsfehlern und mangelhafter Bauausführung kam, mit zum Teil schweren wirtschaftlichen Folgen für Bauherrinnen und Bauherren.
  • Verfahrensregeln sind gestrafft und zur besseren Verständlichkeit und Handhabung neu gefasst worden.
 Nachhaltigkeit/Klimaschutz:
  •  Die Vorschriften für das Bauen mit dem nachwachsenden Rohstoff Holz werden erleichtert. So wird mehrgeschossiger Holzbau möglich. 
Strittige Fragen sind bereits während der Verbändeanhörung mit den kommunalen Spitzenverbänden sowie der Architekten- und Ingenieurkammer erörtert worden. Die Landesbauordnung legt unter anderem fest, wie bauliche Anlagen in NRW errichtet und geändert werden dürfen. Die letzte umfangreiche Novellierung der Landesbauordnung fand im Jahr 2000 statt.
 
Unter folgendem Link können Sie den kompletten Entwurf der neuen Landesbauordnung finden:
 
https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD16-12119.pdf

Novelle der Landesbauordnung NRW – zentrale Fragen und Antworten

Was regelt die Landesbauordnung?
Die Landesbauordnung regelt die Voraussetzungen, unter denen bauliche Anlagen errichtet und geändert werden dürfen, was bei einer Änderung ihrer Nutzung zu beachten ist und wie sie instand zu halten sind. Seit ihrer letzten umfangreichen Novellierung im Jahr 2000 bedürfen viele Vorschriften der Überarbeitung.
 
Wer wurde beteiligt?
Zu dem Referentenentwurf wurde eine Verbändeanhörung durchgeführt, in deren Verlauf zu vielen Vorschriften Anregungen und Stellungnahmen vorgetragen wurden. Diese haben zu zahlreichen Änderungen geführt. Auch die ressortübergreifende Normprüfstelle, die Beauftragte der Landesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderung und die Clearingstelle Mittelstand wurden beteiligt. Außerdem wurden zahlreiche Verbesserungsvorschläge aus der Praxis aufgegriffen.
 
Welche Themen wurden strittig diskutiert?
Im Zentrum des Interesses, mit sehr kontroversen Beiträgen, standen die Themen Barrierefreiheit, Wegfall des „Freistellungsverfahrens“ sowie Stellplätze und Fahrradabstellplätze.
 
Welche Regelungen sind zum barrierefreien Wohnen vorgesehen?
Die in der Landesbauordnung bislang vorhandenen Regelungen zum barrierefreien Bauen werden den Anforderungen, die auf Grund der UN-Behindertenrechtskonvention an eine inklusive Gesellschaft gestellt werden müssen, nicht gerecht. In Zukunft sollen sowohl die Barrierefreiheit öffentlich zugänglicher baulicher Anlagen verbessert als auch die Zahl barrierefreier Wohnungen deutlich gesteigert werden.
 
Wie bisher müssen bei Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei sein. Anders als bisher wird aber künftig die vollständige barrierefreie Nutzbarkeit dieser Wohnungen gefordert. Die für Rollstuhlfahrer erforderlichen Türbreiten und Bewegungsflächen sollen nur für einen Teil der barrierefreien Wohnungen gefordert werden, diese Wohnungen gelten dann als „rollstuhlgerecht“. Diese rollstuhlgerechten Wohnungen müssen  allerdings erst in größeren Gebäuden errichtet werden. Damit werden der unterschiedlichen Bevölkerungsdichte in NRW und der daraus resultierenden Bautätigkeit Rechnung getragen.
Das Angebot an Wohnungen für alte Menschen und Menschen mit Behinderungen soll auch dadurch deutlich verbessert werden, dass künftig in Gebäuden mit einem Aufzug alle Wohnungen barrierefrei, aber nicht rollstuhlgerecht, sein müssen.
 
Es sollen in Zusammenarbeit mit allen betroffenen Interessenverbänden Technische Baubestimmungen erarbeitet werden, die die Anforderungen an die Barrierefreiheit und Rollstuhlgerechtigkeit eindeutig festlegen. Diese Bestimmungen sind nicht Teil des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens, sondern werden danach erlassen.
 
Die Verbände der Wohnungswirtschaft, aber auch die Architektenkammer und die Bauwirtschaft sind der Ansicht, die Errichtung rollstuhlgerechter Wohnungen führe zu erheblichen Kostensteigerungen vor allem bei kleinen Wohnungen; überdies würden derartige Wohnungen in der quotierten Anzahl am Markt nicht nachgefragt.
Ob die Neuregelung bedarfsgerecht ist, soll daher fortlaufend beobachtet werden.
 
Was gilt künftig für die Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden?
Die meisten Gebäude der öffentlichen Hand müssen schon jetzt nach geltendem Recht weitgehend barrierefrei ausgeführt werden. So gilt für Hochschulen bereits seit längerem, dass hinsichtlich der Nutzung nicht zwischen Benutzern und Besuchern der baulichen Anlage unterschieden werden kann. In Verwaltungsgebäuden, darunter auch Gerichte und Polizeigebäude, ist ein allgemeiner Besucherverkehr über Empfangsbereiche und Sitzungssäle hinaus bis in viele Büros üblich, so dass sich hinsichtlich der Barrierefreiheit auch für diese Gebäude rechtlich kaum etwas ändern dürfte. Außerdem fordert schon jetzt das Arbeitsstättenrecht (§ 3a Abs. 2 ArbStättV), dass, wenn  Menschen mit Behinderungen beschäftigt werden, nicht nur deren Arbeitsstätten barrierefrei zu gestalten sind, sondern auch die zugehörigen Türen, Verkehrswege, Fluchtwege, Notausgänge, Treppen, Orientierungssysteme, Waschgelegenheiten und Toilettenräume.
 
Bei Schulen mussten bislang die Klassenräume nicht barrierefrei sein, weil sie ausschließlich von den Schülerinnen und Schülern und den Lehrkräften genutzt wurden, sondern nur die Teile der Schulen, die einem allgemeinen Besucherverkehr dienten. Traditionell waren dies das Sekretariat, das Lehrerzimmer und die Aula. Mit der Änderung der Landesbauordnung soll nun auch dem  Gebot der inklusiven Schulausbildung Rechnung getragen werden. Allerdings gilt, dass an den unverändert genutzten Gebäudebestand keine neuen Anforderungen gestellt werden.
 
Welche Regelungen sind zum Bauen mit Holz vorgesehen?
Zentrale Vorschriften der Landesbauordnung betreffen den vorbeugenden Brandschutz. Hier fehlt es zurzeit in Nordrhein-Westfalen noch an Regelungen, die den weiter gehenden Einsatz des Baustoffes Holz ermöglichen. Das Bauen mit Holz wird durch Anpassung der Landesbauordnung an das Brandschutzsystem der Musterbauordnung erleichtert und den Vorschriften für den Holzbau der anderen Länder angepasst. Mit der Neuregelung wird das Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen gefördert. Künftig sollen die Vorschriften für den Holzbau in Abstimmung mit MKULNV stetig dem Stand der Forschung und Entwicklung der Holzbauweise angepasst werden.
 
Wie ändern sich die Stellplatzvorschriften?
Die Kommunen benötigen mehr Spielraum, um bedarfsgerecht Kfz-Stellplätze und Abstellplätze für Fahrräder vorzusehen. Mit der Novelle entscheiden nun allein die Kommunen, ob und in welchem Maße sie die Errichtung von Stellplätzen und Fahrradabstellplätzen bei baulichen Anlagen mit kommunalen Satzungen regeln.  Seitens des Landes werden diesbezüglich keine Vorgaben mehr gemacht. Auf diese Weise wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Frage, wie viele Stellplätze und Fahrradabstellplätze für ein Gebäude notwendig sind, maßgeblich von der städtebaulichen Konzeption und der örtlichen Verkehrsplanung sowie der ÖPNV-Infrastruktur beeinflusst wird. Die Entscheidung über den Stellplatzbedarf wird daher künftig durch die Räte und nicht mehr durch die Bauaufsichtsbehörden getroffen. Die Verbände der Wohnungswirtschaft und der Bauindustrie aber auch die Architektenkammer, der Bund Deutscher Baumeister und der Mieterbund haben sich klar für diese kommunale Lösung ausgesprochen. Demgegenüber plädieren die kommunalen Spitzenverbände und der Westdeutsche Handwerkskammertag für möglichst landesweit einheitliche Vorgaben zur Ermittlung der notwendigen Stellplätze („Richtzahlentabelle“).
 
Warum soll das Freistellungsverfahren abgeschafft werden?
Zurzeit können Wohngebäude bis hin zur Hochhausgrenze ohne Baugenehmigung gebaut werden, wenn das Vorhaben im Bereich eines qualifizierten Bebauungsplans liegt, dessen Festsetzungen nicht widerspricht, die Gemeinde zuvor informiert wurde und diese nicht die Durchführung eines Genehmigungsverfahrens forderte. Im Gegensatz zum sonst erforderlichen Baugenehmigungsverfahren findet keine Prüfung und Überwachung durch die Bauaufsichtsbehörde statt, sondern Bauherrn und Architekt obliegt eigenverantwortlich die Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften.
 
Das Freistellungsverfahren hat die in es gesetzten Erwartungen nicht erfüllt:
  • die geforderte Übereinstimmung mit den Festsetzungen des Bebauungsplans wurde in vielen Fällen nicht beachtet,
  • eine Bauüberwachung fand nicht statt; damit fehlte gerade für private Bauherren ein wesentliches Element wirksamen Verbraucherschutzes (aufgrund fehlender Kontrolle wurde vielfach mangelhaft gebaut),
  • durch die fehlende Baugenehmigung bestand für die Bauherrinnen und Bauherren keine Rechtssicherheit mehr,
  • eine Entlastung der Bauaufsichtsbehörden ist häufig nicht eingetreten, denn die Prüfungen im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens wurden ersetzt durch ausführliche Beratungen der Bauherren und Entwurfsverfasser: hinzu kam dass diese Beratungstätigkeit nicht durch angemessene Gebühren gedeckt wurde, so dass sich die Freistellung für die Kommunen sogar als finanziell nachteilig herausstellte.
Hinzu kommt, dass der beabsichtigte vermehrte Bau barrierefreier Wohnungen nur dann zu gewährleisten ist, wenn die Bauanträge entsprechend geprüft werden. Während die kommunalen Spitzenverbände den nun geplanten Wegfall des Freistellungsverfahrens begrüßen, sind die Verbände der Bau- und der Wohnungswirtschaft der Ansicht, die genehmigungsfreie Errichtung von Wohngebäuden habe sich bewährt.
 
Beschleunigung/Vereinfachung von Verfahren
Die übrigen Verfahrensregelungen werden gestrafft und zur besseren Übersicht und Handhabung neu gefasst. Das einfache Baugenehmigungsverfahren, in dem nur einzelne Vorschriften der Landesbauordnung geprüft werden, gilt weiterhin für alle Vorhaben mit Ausnahme der großen Sonderbauten. Die Position der staatlich anerkannten Sachverständigen wird gestärkt; ihre Tätigkeit wird stärker von den Aufgaben der Bauaufsichtsbehörden unterschieden.

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