Ministerin Brandes: Das Museum muss das Lagerfeuer sein, an dem alle zusammenkommen

Audience Development in Nordrhein-Westfalen. Kulturministerium stellt Ergebnisse der Delegationsreise nach New York vor

26. April 2023
PHB Brandes, Ina - lächelnd, vor Flaggen (2022)

Wie können Museen für Stammbesucherinnen und -besucher attraktiv bleiben? Was müssen Museen leisten, um neues Publikum – vor allem junge Menschen – anzusprechen? Fragen wie diese standen im Mittelpunkt der Delegationsreise von Kulturministerin Brandes mit Museumsleiterinnen und -leitern aus Nordrhein-Westfalen nach New York City.

Kultur und Wissenschaft

Wie können Museen für Stammbesucherinnen und -besucher attraktiv bleiben? Was müssen Museen leisten, um neues Publikum – vor allem junge Menschen – anzusprechen? Fragen wie diese standen im Mittelpunkt der Delegationsreise von Kulturministerin Ina Brandes mit Museumsleiterinnen und -leitern aus Nordrhein-Westfalen nach New York City. Die Delegation traf dabei Museumsexpertinnen und -experten, Vertreterinnen und Vertreter der jüdischen Gemeinde und Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker. Die Delegation besuchte unter anderem das Metropolitan Museum of Art (MET), das Whitney Museum, das Museum of Modern Art, das Brooklyn Museum of the Arts, das Bronx Museum of Art, die High Line und das Museum of Jewish Heritage – A Living Memorial to the Holocaust.

In einem Podiumsgespräch mit Katia Baudin, Direktorin der Kunstmuseen Krefeld, Prof. Peter Gorschlüter, Direktor des Museum Folkwang, und Dr. Nico Anklam, Direktor der städtischen Museen Recklinghausen, stellte Kulturministerin Brandes heute, 26. April 2023, die Erkenntnisse der Reise vor.

Ministerin Brandes: „Bei vielen gesellschaftlichen Entwicklungen können wir mit dem Blick nach Amerika in die Zukunft Europas sehen. Auch wir stehen vor der großen Herausforderung, die Gesellschaft mit Menschen aus vielen Nationen, kulturellen und religiösen Hintergründen zusammenzuhalten. Ich bin der festen Überzeugung, dass Kunst und Kultur dabei eine entscheidende Rolle spielen. Das Museum muss das Lagerfeuer sein, an dem alle zusammenkommen. Alte und Junge sowie Menschen unterschiedlicher kultureller Hintergründe müssen sich gleichermaßen vom Angebot unserer Museen angesprochen fühlen.“

Dr. Nico Anklam, Direktor der städtischen Museen in Recklinghausen: „Das Ruhrgebiet und seine Museen sind besondere Orte des Wandels, und hier gab es viele wichtige Anknüpfungspunkte mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus New York, einer Stadt die oft Vorreiterin für Veränderungen ist. Und schlicht gemeinsam die Frage zu stellen: Wie können sich Kunstinstitutionen neu erfinden und unterschiedliche Publikumsgruppen erreichen? Allein der Austausch auf dieser Ebene war wichtig und wird sicherlich auch in Zukunft weitergeführt.“

Katia Baudin, Direktorin der Kunstmuseen Krefeld: „Für mich war es extrem beeindruckend zu sehen, welche Anstrengungen die Museen in New York unternehmen, ihr Publikum und ganz besonders auch Nicht-Besucher anzusprechen und in die Planungen einzubinden. Das passiert dort mit mehr Tiefe und Systematik als bei uns. Die Stimme der zivilgesellschaftlichen Gruppen hat zum Beispiel in den New Yorker Museen maßgeblichen Einfluss auf die Besucher-Programmgestaltung, um ein breiteres, die gesellschaftlichen Strukturen widerspiegelndes Publikum anzusprechen.“

Prof. Peter Gorschlüter, Direktor des Museum Folkwang in Essen: „Neue Entwicklungen im institutionellen Kultursektor zeichnen sich im angloamerikanischen Raum früher ab als bei uns: darunter Themen, die zukünftig auch für unsere Museumslandschaft deutlich an Relevanz gewinnen werden. Spannend sind insbesondere die Fortschritte bei der weiteren Öffnung und Diversifizierung der Museen in New York, die in fast alle Bereiche der Museumsarbeit hineinreichen und miteinander interagieren, von der erweiterten Nutzung des Museumsgebäudes bis zur kuratorischen Mitsprache durch unterschiedliche Publika und der Datenanalyse, die auch für uns neue Arbeitsfelder in der Museumsarbeit erschließen kann.“

In den Gesprächen mit Museumsleiterinnen und -leitern in New York kristallisierten sich folgende Aspekte heraus, die in allen Häusern zu einer Verbesserung der Publikums-Bindung geführt haben.

Identifikation – Museum für alle

Attraktiv sind besonders die Einrichtungen, die vom Publikum als „ihr“ Museum wahrgenommen werden. Das Whitney Museum – das wichtigste Museum amerikanischer Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts – hat in der Corona-Pandemie ganz gezielt die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen in der Nachbarschaft gesucht und ausgebaut. In der Folge wurden sowohl neue Angebote eingeführt (Programm am Freitagabend für junge Leute) und bestehende Angebote erweitert (Familiensamstage und Kreativ-Tage zu Halloween). Mit einem professionellen Beratungsgremium aus Lehrerinnen und Lehrern erarbeitet das Museum zudem Konzepte für die kulturelle Bildung. So etabliert das Museum eine feste Partnerschaft zu Schulen und macht das Museum zu einem selbstverständlichen Lernort für Kinder und Jugendliche.

Besonders eindrücklich gelingt die Identifikation mit dem Publikum der High Line, einer stillgelegten Hochbahntrasse im Herzen New Yorks. Ohne Eintritt mit ständig wechselnden Exponaten erobern die New Yorker hier einen Teil ihrer Stadt, flanieren auf der parkähnlichen Trasse ganz ohne Autos und Ampeln. Mehrere Millionen Besucher kommen jedes Jahr zur High Line, dessen Konzept von Kuratorin Cecilia Alemani entwickelt wurde.

Alle Museen gehen zudem unter anderem mit Befragungen gezielt auf Menschen zu, die den Häusern bislang fernbleiben, um festzustellen, welche Wünsche und Erwartungen sie an ein Museum haben.

Kommunikation

Das Whitney Museum lernt seine Besucherinnen und Besucher durch eine Kombination aus Publikumsbefragungen, E-Mail-Marketing und Social Media besser kennen. Zudem hat das Whitney Museum sechs Beiräte unterschiedlicher Communitys (etwa Teenager, Menschen mit Behinderungen, verschiedene ethnische Gruppen) installiert, die einmal im Monat tagen und Vorschläge für die Museumsarbeit erarbeiten.

Im MET nutzen die verschiedenen Arbeitseinheiten für ihre Kommunikation sehr offensiv der Zielgruppe entsprechende Social-Media-Kanäle. Die Arbeitseinheiten agieren relativ autonom parallel zur zentralen Öffentlichkeitsarbeit des Museums, um ihre Zielgruppen besser zu erreichen.

Im Brooklyn Museum sind die Publikumswünsche maßgeblich, auch für die Kuratoren, die dementsprechend die Ausstellungen gestalten.

Offenes Haus – Interaktion

Alle besuchten Museen öffnen sich für den Stadtraum und ermöglichen eine vielfältigere Nutzung ihrer Räume. Damit erweitern die Museen ihren klassischen Auftrag und übernehmen auch gesellschaftliche und soziale Aufgaben. Die Interaktion mit dem Publikum wurde von den Museen als ein entscheidender Faktor erkannt, um die Verweildauer in Museen zu erhöhen und Lernerfahrungen besonders bei jungen Menschen zu beschleunigen und zu vertiefen.

„Bitte berühren“ lädt zum Beispiel ein Schild im Bronx Museum of Art zum Anfassen und Ausprobieren ein. Aus einem Exponat wird ein Spielzeug zum Mitmachen. Auch das Brooklyn Museum animiert die Besucher zur Interaktion. Es brauche beim eigenen Ausprobieren nur zwei bis drei Wiederholungen, bis das Gelernte gespeichert ist, sagt Anne Pasternak, Direktorin des Brooklyn Museums. Und das Museum möchte, dass sich ihr Publikum wohl fühlt. So bietet es zum Beispiel eine „Silent Disco“ an, in der Jugendliche mit Kopfhörern zu ihrer eigenen Musik aber gemeinsam im Museum tanzen. Partnerschaften mit Vereinen, Verbänden und Schulen seien ein fester Bestandteil des Engagements für die Verankerung des Museums als Dritter Ort.

Diversität

Eine Voraussetzung dafür, ein diverses Publikum anzusprechen, ist eine möglichst diverse Museumsbelegschaft, berichteten MET-Direktor Max Hollein und seine Stellvertreterin Inka Drögemüller. Selbst in einer Stadt wie New York, in der über 80 Prozent der Menschen eine Zuwanderungsgeschichte haben, braucht es langfristige Strategien, die Belegschaft diverser aufzustellen. Im MET werden zum Beispiel schon sehr früh junge Menschen mit asiatischem und afroamerikanischem Hintergrund in Praktika ausgebildet, um als Multiplikatoren junge Leute mit Migrationsgeschichte anzuziehen. Langfristig werde sich die Diversität in der Belegschaft auch in der Art und Weise der Präsentation der Exponate widerspiegeln, sagte Inka Drögemüller. Eine erklärende Beschreibung der Ausstellungsstücke, die auch die Perspektive anderer Kulturen berücksichtigt, sei dringend nötig, um auch Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen anzusprechen. Schließlich müsse auch die Sammlung selbst diverser aufgestellt werden.

Ministerin Brandes kündigte an, das Ministerium werde bei der Ausgestaltung von Förderprogrammen künftig AudienceDevelopment-Konzepte stärker berücksichtigen und den Museen anbieten, sich an einer wissenschaftlich begleiteten Besucherumfrage zu beteiligen. Eine solche Umfrage hatte das Ministerium für Kultur und Wissenschaft mit dem Büro der Landestheater NRW und der Universität Paderborn unter Besuchern und Nicht-Besuchern von Programm- und Bespieltheater des Landes durchgeführt.

Bereits seit März arbeitet das Land eng mit dem Institut für kulturelle Teilhabeforschung in Berlin (IKTF) zusammen. Das IKTF hat ein Besucherforschungssystem namens KulMon (Kulturmonitoring) entwickelt. Es ist das größte Besucherforschungssystem im deutschsprachigen Raum. Als Langzeitstudie angelegt ermöglicht das System Kultureinrichtungen, die Entwicklungen ihres Publikums über viele Jahre zu beobachten. Hierüber entsteht eine verlässliche Datengrundlage für die Steuerung von Kultureinrichtungen.

Die Erkenntnisse der New York-Reise seien sowohl für die Museen als auch für andere Institutionen hilfreich, sagte Ministerin Brandes. „Theater, Opern, Konzert- und Balletthäuser stehen vor ganz ähnlichen Herausforderungen und können von einer neuen Qualität der Publikumsbeteiligung nur profitieren. Wichtig ist, dass es eine aufsuchende Beteiligung ist.“ Die Häuser sollten von sich aus auf zivilgesellschaftliche Gruppen, Verbände und Vereine zugehen und bei der Gestaltung ihrer Programme die Wünsche und Erwartungen der Menschen kennen und mitberücksichtigen. „Nicht um sie einfach umzusetzen, sondern um die Freiheit der Kunst zu nutzen, die Seh- und Hörgewohnheiten des Publikums immer neu herauszufordern“, so Brandes.

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