Ministerin Steffens: Geplante Reform der Pflegeberufe in wesentlichen Teilen verfassungswidrig

25. Februar 2016

Die vom Bund geplante Reform der Pflegeberufe wäre bei Umsetzung in der bisher geplanten Form in wesentlichen Teilen verfassungswidrig. Zu diesem Ergebnis kommt ein unabhängiges Gutachten der renommierten Verwaltungsrechtskanzlei Kapellmann.

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Die vom Bund geplante Reform der Pflegeberufe wäre bei Umsetzung in der bisher geplanten Form in wesentlichen Teilen verfassungswidrig. Zu diesem Ergebnis kommt ein unabhängiges Gutachten der renommierten Verwaltungsrechtskanzlei Kapellmann. Es wurde im Auftrag des nordrhein-westfälischen Gesundheits- und Pflegeministeriums erstellt und den zuständigen Bundesministerien zur Verfügung gestellt.

„Mit der Reform der Pflegeberufe wird der Bund sehenden Auges scheitern, wenn er sie jetzt immer noch gegen alle Warnungen in der derzeit geplanten Form durchsetzen will“, erklärte Gesundheits- und Pflegeministerin Barbara Steffens in Düsseldorf. „Der Bund muss das Gesetzgebungsverfahren aussetzen und zuerst alle Risiken  ausräumen, sonst fügt er der pflegerischen Versorgung in unserem Land massiven Schaden zu. Es gibt schon keinen sachlichen Grund, eine so grundlegende Reform gegen alle massiven Widerstände aus der Fachszene einfach durchdrücken zu wollen. Nachdem ein unabhängiges Rechtsgutachten nun auch noch in wesentlichen Teilen eine Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz festgestellt hat, muss das Reformvorhaben zurück auf den Prüfstand“, so Steffens weiter.

Zentrale Aussagen des Rechtsgutachtens sind:

  • Dem Bund fehlt für die geplante Finanzierung die Gesetzgebungskompetenz. Dass der Bund eine Finanzierung über Länderfonds vorschreiben will und damit bewusst unterschiedliche Finanzierungsbedingungen (Kostenbelastung von Krankenhäusern, Pflegeheimen und ambulanten Diensten) in den Ländern schafft, verstößt gegen die Kompetenznorm des Art. 72 Grundgesetz. Verfassungsmäßig wäre nur ein Gesetz, dass die Finanzierung über einen einheitlichen Bundesfonds regelt.
  • Umlagefinanzierung der Ausbildungskosten verstößt in vorgesehener Form gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3) des Grundgesetzes. Wenn der Bund – was NRW in der Sache sehr begrüßt – die Finanzierung der Ausbildung künftig durch eine Ausbildungsumlage sicherstellen will, in die alle Krankenhäuser, Pflegeheime und ambulanten Dienste verpflichtend Beiträge einzahlen müssen, kann er diese Beiträge nicht willkürlich festsetzen, sondern muss die Verteilung zwischen den einzelnen Zahlern streng am Gleichheitsgrundsatz ausrichten. Jede Einrichtung darf nur soviel zahlen müssen, wie es ihrem anteiligen Nutzen an der zu finanzierenden künftigen Ausbildung entspricht. Der Bund stützt seine Berechnungen zur Kostenverteilung aber auf ein veraltetes und lückenhaftes Forschungsgutachten aus dem Jahr 2012. Das Gutachten berücksichtigt gerade nicht die Auswirkungen des neuen Gesetzes, sondern berechnet die zukünftigen Kosten alleine auf Grundlage bisheriger Ausbildungsaktivitäten der Bereiche Krankenpflege und Altenpflege unter Geltung alter Gesetze. Dieses Vorgehen ist nicht mehr mit einem Gestaltungs- und Prognosespielraum des Gesetzgebers zu rechtfertigen, weil die neue Ausbildung unter vollständig neuen Rahmenbedingungen erfolgen wird. Dieses Vorgehen ist nicht geeignet, eine an Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz ausgerichtete sachgerechte Kostenverteilung zu erreichen. Eine Folge: Jede betroffene Einrichtung könnte mit Aussicht auf Erfolg gegen eine solche Zwangsumlage klagen.
  • Rechtswidrige Kostenverteilung bei der Umlage zwischen ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen. Vorgesehen ist eine nicht sachgerechte Kostenverteilung zwischen den verschiedenen Einrichtungen im Bereich Altenpflege (Pflegeheime und ambulante Dienste). Das pauschale Abstellen bei der Kostenverteilung im Pflegesektor auf diese Zahl der beschäftigten Pflegefachkräfte im ambulanten Pflegebereich lässt völlig außer Acht, dass im ambulanten Bereich von diesen Pflegefachkräften (anders als in den Pflegeheimen) neben Leistungen der Altenpflege nach dem SGB XI (Pflegeversicherung) auch Leistungen der Krankenpflege nach dem SGB V (Krankenversicherung) erbracht werden. Das  verstößt gegen Art. 3 des Grundgesetzes.
  • Wertschöpfungsanteil für ambulante Dienste ist verfassungswidrig. Auch ambulante Dienste sollen nur einen Teil der Ausbildungsvergütung refinanziert bekommen, da nach Ansicht des Bundes ambulante Dienste mit dem Einsatz von Auszubildenden auch finanzielle Erlöse erzielen können („Wertschöpfungsanteil“) . Der Einsatz von Auszubildenden bringt aber – anders als gegebenenfalls in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern – für ambulante Pflegedienste keinen entsprechenden Mehrwert, da sie Auszubildende grundsätzlich nicht alleine „auf Tour“ schicken und abrechenbare Leistungen erbringen lassen dürfen. Da keine sachliche Rechtfertigung für diese Vorgehensweise zu erkennen ist, liegt auch hier ein Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes vor.
  • Ungleiche Möglichkeit für Arbeitgeber zur Refinanzierung der Ausbildungsumlage. Krankenhäuser können die Ausbildungskosten komplett aus Entgelten der Krankenversicherungen refinanzieren. Pflegeeinrichtungen müssen ihren Umlageanteil dagegen komplett an die Pflegebedürftigen weiterreichen, die diese Kosten nicht von der Pflegeversicherung erstattet bekommen. Damit ist die Finanzierung der Ausbildungskosten für Krankenhäuser wettbewerbsneutral, für  Pflegeeinrichtungen stellen sie einen negativen Wettbewerbsfaktor dar. Hierin sehen die Juristen ebenfalls einen Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes.
„Grundsätzlich ist eine Reform der Pflegeausbildung sinnvoll, aber was der Bund hier ohne Not im Eiltempo durchsetzen will, ist grob fahrlässig. Ein Gesetz mit so vielen gravierenden Fehlern und so hohen Risiken wäre ein schwerer Rückschlag für die Pflege in Deutschland“, betonte Ministerin Steffens.

Hinweis:

Das Rechtsgutachten zum Pflegeberufereformgesetz des Bundes ist veröffentlicht auf der Internetseite des nordrhein-westfälischen Gesundheits- und Pflegeministeriums: www.mgepa.nrw.de.
 

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