Festansprache von Frau Ministerin Dr. Angelica Schwall-Düren zum 58. Jahreskongress Vereinigung Deutsch-Französischer Gesellschaften für Europa e.V. (VDFG) und Frz. Partnervereinigung FAFA am 15. September 2013 , Universität Bonn

30. September 2013
Default Press-Release Image

Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich zum Abschluss des 58. Jahreskongresses der Vereinigung der Deutsch- Französischen Gesellschaften für Europa e.V. und ihrer Frz. Partnervereinigung FAFA die Festansprache halten darf und freue mich darüber, nicht nur als Europaministerin des Landes Nordrhein-Westfalen, sondern auch aus ganzem Herzen als Frankreichbegeisterte.

Anrede,

ich fühle mich sehr geehrt, dass ich zum Abschluss des 58. Jahreskongresses der Vereinigung der Deutsch- Französischen Gesellschaften für Europa e.V. und ihrer Frz. Partnervereinigung FAFA die Festansprache halten darf und freue mich darüber, nicht nur als Europaministerin des Landes Nordrhein-Westfalen, sondern auch aus ganzem Herzen als Frankreichbegeisterte.

I.

Es gab in diesem deutsch-französischen Jahr sehr viele bewegende Reden – eine davon haben wir gerade letzte Woche von Bundespräsident Joachim Gauck bei seinem Besuch in Oradour - im Rahmen seines dreitägigen Frankreich-Besuchs gehört. Es war ja die erste Reise eines hohen Repräsentanten der deutschen Politik dorthin überhaupt!

Wir hatten Festveranstaltungen – wie die sehr feierliche am 22. Januar in Berlin mit den beiden Präsidenten und allen politischen Vertretern beider Länder aus Assemblée Nationale, Deutschem Bundestag, dem französischen Senat, dem Deutschen Bundesrat und sehr vielen hochrangigen Gästen. Es gab eine Vielzahl von Veranstaltungen und Deutsch-Französischen Wettbewerben. Auch wir in Nordrhein-Westfalen haben einen Projektaufruf „Frankreich und Nordrhein-Westfalen im Dialog“ durchgeführt - eine Fülle von deutsch-französischen Projekten sind in diesem Zusammenhang und daraus entstanden. Immer und überall wurde - völlig zu Recht - die einzigartige deutsch-französische Freundschaft gefeiert, die nach den Grauen, die die jahrhundertealte Feindschaft hervorgebracht hatte, nun den Völkern Europas – und der Welt – ein Vorbild ist und sein kann.

Bei dem Versuch, Bilanz zu ziehen, gab es aber auch kritische Töne, wie z.B. die Feststellung, dass „der deutsch-französische Motor stottere“.

Nun, meine Damen und Herren, das Anliegen von Festansprachen wird oft so verstanden, dass dort besonders das Gelungene, das Erhebende hervorgehoben wird und das Schwierige eher im Hintergrund bleibt. Mit dem Ziel, dass die Festgemeinde frohgemut und optimistisch nach Hause geht. Ja, es ist wichtig, dass wir uns des Erreichten erinnern und dass wir all denen danken, die ihren Beitrag dazu geleistet haben. So wie es der Bundespräsident am Donnerstagabend getan hat. Wir brauchen es als Erfahrungsschatz und als emotionale Basis für unsere weitere Arbeit.

Aber mein Anspruch ist es, Sie nicht in einer vagen Stimmung des „Weiter so“ zu entlassen, sondern in meiner Rede auch deutlich zu machen, vor welchen Herausforderungen Frankreich, Deutschland und ganz Europa stehen. Damit wir gemeinsam wissen, welche Verantwortung wir auch heute noch zu übernehmen haben. Damit wir verstehen, dass Sie und wir, jeder von uns gebraucht wird, damit adäquate Lösungen zur Weiterentwicklung unseres gemeinsamen Europa gefunden werden.

Meine Damen und Herren, wir wollen realistisch sein: Zunächst diente die deutsch-französische Annäherung und Zusammenarbeit wenige Jahre nach dem schrecklichen 2. Weltkrieg der Kontrolle über Deutschland und seiner Integration in den demokratischen Westen. Dass Staatspräsident de Gaulle die jungen Deutschen sehr früh voller Respekt angesprochen hatte, hat sehr dazu beigetragen, dass die deutsche Bevölkerung das Angebot zur Wiedereingliederung in die Staatengemeinschaft und zur Versöhnung dankbar und froh annehmen konnte.

Der politische Hintergrund des Elysée-Vertrages war dann von Anfang an auch geprägt von der Frage, welche Rolle Deutschland im Europa der damals bipolaren Welt einnehmen würde. Der Vertrag war somit ein wichtiges Instrument auf dem Weg zur europäischen Integration und die Grundlage bedeutsamer deutsch-französischer Initiativen, wie der Einheitlichen Europäische Akte, dem Maastricht-Vertrag, der Wirtschafts- und Währungsunion mit dem Euro, dem Schengen-Raum…

Die deutsch-französische Freundschaft zählt daher zu Recht, neben der deutsch-polnischen Aussöhnung, zu den bedeutendsten Ereignissen in der europäischen Geschichte. Frankreich war immer der wichtigste Partner Deutschlands bei der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit in Europa.

In wenigen Jahren entstand dabei ein sehr spezifisches Gleichgewicht zwischen unseren Ländern: Die Kombination aus deutscher Wirtschaftskraft und französischer Führungsmacht wurde Motor der europäischen Integration.

Die Zusammenarbeit war nie leicht: Unterschiedliche Wirtschaftsstrukturen und ein unterschiedliches Verständnis der Rolle des Staates bescherten den beiden Ländern keine selbstverständliche Kooperation. Es war der Wille zur Zusammenarbeit, der half, Barrieren zu überwinden. Und es war der Respekt vor der Rolle des jeweils anderen, der eine produktive Arbeitsteilung erlaubte. So war es beispielsweise immer wichtig, dass Deutschland in der Gemeinschaft der sechs Mitgliedstaaten, aber auch später in der erweiterten Union die kleineren Partner im Blick hatte und Rücksicht auf sie nahm. Frankreich dagegen verband über seine weltweiten Bezüge und sein großes Gewicht in der internationalen Politik seinen Partner Deutschland gewissermaßen mit der Welt. Wo aber stehen wir heute?

II.

Europa steckt in einer Krise. Die Refinanzierungs- und Wirtschaftskrise in der Europäischen Union ist in der Folge der weltweiten Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise entstanden. Hausgemachte Probleme wurden in Verbindung mit den weltweiten Krisenerscheinungen zum Sprengsatz für die Eurozone, ja sogar für die gesamte Europäische Union.

Noch ist nicht klar, ob und wie und wann die Krise überwunden sein wird.

Und derweil nimmt die Ungleichheit in Europa ständig zu: Die Armut der Menschen hat dem Sozialbericht der Europäischen Kommission zufolge einen neuen alarmierenden Rekordstand erreicht. Die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Norden und Süden, geht immer weiter auseinander. Die Menschen, vor allem natürlich in den besonders betroffenen Ländern, verlieren zunehmend ihre Geduld.

Jeder vierte Europäer unter 25 Jahren ist heute arbeitslos – auch in Frankreich liegt die offizielle Quote bei 26 %. Nicht nur unter der europäischen Jugend wächst die Wut über eine Politik, die einerseits bereit ist, mit riesigen Summen
Banken zu retten, aber andererseits die Zukunft der Jugend verspielt. Überall in Europa wächst die Skepsis: Wozu ist Europa gut? Wie viel ist uns Europa wert? Welches Modell kann und soll die Zukunft Europas im 21. Jahrhundert gewährleisten? Das sind die aktuellen Themen, die einerseits die Europäer verbinden – aber auch trennen.

Bei der Suche nach dem richtigen Ausweg sind ausgerechnet zwischen den beiden wichtigsten Partnern Deutschland und Frankreich die Divergenzen gewachsen. Manchmal entsteht der Eindruck, es gehe darum, ob ein französisches oder ein deutsches Europa geschaffen werden solle.

Und: Das oben beschriebene Gleichgewicht ist aus dem Tritt geraten. Deutschland erscheint als Hegemon, der nicht nur wirtschaftlich erfolgreich ist, sondern auch politisch immer dominanter wird.

Die neue Rolle hat Deutschland dem Ende des Kalten Krieges, der deutschen Einigung und der Europäischen „Wiedervereinigung“ zu verdanken. Die Gelassenheit gegenüber einem größer gewordenen Deutschland ist gewachsen. Vom „normal“ gewordenen Deutschland wird verlangt, dass es – z.B. bei internationalen Fragestellungen oder gar Konflikten - eine seiner wirtschaftlichen Stärke angemessene politische Rolle übernimmt.

In der Folge gibt Deutschland auch zunehmend den politischen Takt vor. Unabhängig davon, ob Deutschland diese Rolle anstrebt, kann sich unser Land seiner Verantwortung nicht entziehen. Es kommt aber darauf an, wie die deutsche Politik diese Verantwortung ausfüllt.

Denn: Die faktische wirtschaftliche Vormachtstellung unseres Landes, lässt den anderen Mitgliedstaaten nicht die Wahl, ob sie den politisch-ökonomischen Vorgaben Deutschlands folgen wollen oder nicht.

Dies löst – nicht nur in Frankreich - Unruhe aus.

Frankreich gehört dabei nach wie vor zu den reichsten Ländern der Welt (Rang 5 hinter USA, China, Japan und Deutschland), liegt mit dem Pro-Kopf-Einkommen in der EU-Spitzengruppe, hat gegenüber allen übrigen Euro-Zonen-Ländern einen großen demographischen Vorteil und unter den 500 größten Unternehmen der Welt finden sich so viele französische wie deutsche.

Allerdings sind in den vergangenen Jahren auch Probleme deutlich geworden: verringerte Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft mit sinkenden Exportraten und Probleme auf dem Arbeitsmarkt, eine geschrumpfte industrielle Basis und eine angespannte Finanzlage der staatlichen Haushalte.

Dieses offiziell geleugnete, aber nicht völlig zu negierende neue Ungleichgewicht führt zu aufgeregten Debatten, ob und inwieweit das „Modell Deutschland“ kopiert werden sollte oder ob eine solche Kopie die französischen, auf der Verfassung der V. Republik basierenden Werte zerstören würde.

Ich lese die französische Presse und mir ist in den zurückliegenden Monaten der dort diskutierte Zwiespalt deutlich geworden: Wie und wohin soll sich das Land entwickeln? Ist Deutschland eher Vorbild oder muss man sich doch vor dem Land fürchten? Heute vielleicht aus anderen Gründen als in der Vergangenheit: Könnte der Einfluss des aus französischer Sicht neoliberal orientierten Deutschland das französische Sozial- und Staatsmodell untergraben oder sind in Frankreich vergleichbare Reformen wie in Deutschland überfällig, damit die republikanische Gesellschaft eine Zukunft hat? Könnte das deutsche Konsens- Modell der Sozialpartner übertragen werden, oder würden damit die französischen Gewerkschaften und damit die Arbeitnehmerschaft geschwächt?

Auf unserer Seite des Rheins gibt es dagegen hier und da schnell die Tendenz - ich meine leider zu oft - den relativen aktuellen wirtschaftlichen Vorsprung als Beweis der Überlegenheit des deutschen Systems oder gar Gesellschaftsmodells zu sehen.

Übersehen wird dabei, dass der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands nicht allen in unserem Land zugutekommt. Die Spaltung der Gesellschaft hat zugenommen, die Ungleichheit der Verteilung von Einkommen und Vermögen ist größer geworden – so die Forschungsergebnisse von unabhängigen Wissenschaftlern. Der Anteil der prekären Beschäftigungsverhältnisse ist größer geworden: der Niedriglohnsektor dehnt sich aus, die Anzahl von Minijobs, befristeten Arbeitsverhältnissen und unbezahlten Praktika nimmt zu. Eine immer größere Anzahl von Menschen ist wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich ausgegrenzt.  Dabei wäre es für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft wichtig, dass mehr Menschen über Investitionen in Bildung die Chance bekämen, sich in die Gesellschaft einzubringen und mitzubestimmen.

Ich halte deshalb nichts von deutscher Hochnäsigkeit und Dominanz. Für uns galt lange, was Willy Brandt formuliert hatte: „Wir wollen ein Volk von guten Nachbarn sein.“

Nur eins ist klar: Deutschlands vermeintliche Stärke darf nicht Frankreichs Problem werden und Frankreich sollte im eigenen Interesse, aber auch um des gemeinsamen Europa Wille, seine Schwäche und seine Defizite überwinden. Klar ist, um auch hier mit Willy Brandt zu sprechen: „Jede Zeit braucht ihre eigenen Antworten.“ Für gute Antworten

gibt es aus meiner Sicht nur ein Erfolgsrezept: den weiterhin engen Schulterschluss beider Ländern und den Willen zur Zusammenarbeit.

Da bin ich voll und ganz der Meinung unseres Bundespräsidenten, der bei seinem kürzlichen Besuch in Frankreich die Reformbemühungen der Regierung in Frankreich ansprach und deutlich machte, dass ein wirklicher Erfolg auf dem gemeinsamen Weg nur zu erreichen sei, wenn man miteinander und nicht gegeneinander arbeite.

Dieser gemeinsame politische Wille muss aus meiner Sicht in konkrete Zusammenarbeit umgesetzt werden. Insofern habe ich die deutsch-französische Agenda, die am 22. Januar beschlossen wurde, sehr positiv zur Kenntnis genommen: Auf fast sämtlichen Gebieten der Politik- von Technologiepolitik, erneuerbaren Energien, digitaler Wirtschaft und Industriepolitik bis hin zu sozialen Themen, vor allem die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit - hat der deutsch-französische Ministerrat gemeinsame Initiativen beschlossen.

Kürzlich traf sich auch die Unternehmenselite aus Deutschland und Frankreich – wie jedes Jahr – zum intensiven Austausch in Evian am Genfer See. Es ging um Wege zur Euro-Rettung und um gemeinsame Interessen in der Welt. Und auch dort ist deutlich geworden, dass Frankreich und Deutschland aufeinander angewiesen sind, auch wenn das Verhältnis nicht spannungsfrei ist.

Es geht darum, die Stärken des jeweils anderen zu erkennen, Synergien zu entwickeln und zum gemeinsamen Wohl zu nutzen.

Frankreich und Deutschland dürfen sich nicht zur Ruhe setzen. Ihre Regierungschefs dürfen aber auch nicht auf einsamen Spaziergängen für die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union einsame Entscheidungen treffen. Die deutsch-französische Verantwortung besteht auch darin, die Erfahrungen und Vorstellungen der anderen, nicht zuletzt der kleinen Mitgliedstaaten aufzugreifen und konstruktiv in Vorschläge umzusetzen, damit alle Länder in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Deutschland und Frankreich haben weiter viel Arbeit vor sich. Dafür brauchen sie eine gute Basis.

III.

Deshalb kommt aus meiner Sicht auch den Mitgliedern der deutsch-französischen Gesellschaften eine ganz besondere Bedeutung zu.

Und deshalb beende ich meine Rede nicht in pessimistischer Stimmung, sondern in hoffnungsvoller Erwartung.

Sie, meine Damen und Herren, haben die Möglichkeit, den Blick auf den jeweils anderen zu schärfen und miteinander und nicht nur übereinander zu reden. Und das auf der ganz menschlichen Ebene, in den Vereinen, Kommunen und Städtepartnerschaften. Sie haben die Möglichkeit, Ihre Erfahrungen mit anderen zu teilen.

Insofern haben Sie mit Ihrer Tagung, die den Blick nach vorne gerichtet hat mit der Frage: „Wohin nach 50 Jahren Deutsch-Französischer Freundschaftsvertrag? Auftrag und Impulse für Deutsch-Französische Gesellschaften und Partnerschaften“ die richtige Frage gestellt und sicher erste Antworten gefunden. Ich begrüße Ihr Engagement ganz außerordentlich. Sie sind die wichtigsten deutsch-französischen Vermittler. Es ist auch Ihre Aufgabe, in diesem Rahmen die Debatte über die künftige Gestalt der Europäischen Union zu führen. Und ich wünsche mir sehr, dass die konkreten Fragen um die Gestalt einer gemeinsamen europäischen Zukunft auch in den Begegnungen und Gesprächen zwischen französischen und deutschen Freunden eine gewichtige Rolle spielen. Gerade auch mit und zwischen den jungen Menschen, die sich erfreulicherweise so stark auf diesem Kongress engagiert haben.

Denn, was von entscheidender Bedeutung ist: Sie halten die menschlichen Verbindungen aufrecht. Sie begründen die Freundschaft zwischen den Bevölkerungen, die so elementar wichtig als Grundlage für die Arbeit der Politiker ist. Ich möchte nochmals Joachim Gauck bei seinem Besuch in Frankreich zitieren: „Denn nur in Freundschaft, dieser wunderbaren Form der Sympathie und der Vertrautheit zwischen den Völkern, können wir das, was wir uns erhoffen und wovon wir träumen, auch verwirklichen.“

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer einem großen Dank meinerseits: Ihnen allen, meine Damen und Herren für Ihr Engagement in den vergangenen Jahren, in diesen Tagen hier in Bonn und in der Zukunft. Herzlichen Dank, alles Gute und viel Erfolg!

Merci beaucoup. Je vous souhaite à tous et à toutes encore une belle journée à Bonn, et un bon retour dans vos villes et communes. Vive l’amitié franco-allemande !